Nachhaltigkeit in rechtlichen Kontexten

Im österreichischen Umweltrecht kommt der Rechtswissenschaftlichen Fakultät sowohl in der Forschung als auch in der Lehre die Pionierrolle zu. Der Klimawandel mit seinen Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft zwingt das Rechtssystem, auf Probleme, die dem Grunde nach seit langem bekannt sind, unter hohem Zeitdruck neue Antworten zu finden, die juristisch vorbereitet und aufbereitet werden wollen. Die Veränderungen berühren nahezu jeden Rechtsbereich und erfordern Antworten auf Spezialprobleme sowie Anpassungen des allgemeinen rechtlichen Instrumentariums gleichermaßen. Im internationalen Recht wird untersucht, welche völkerrechtlichen Vorgaben und europäischen Strategien zum Klimaschutz entwickelt werden.

Das öffentliche Recht hat sodann zum einen zu klären, wie diese Vorgaben kompetenzrechtlich in innerstaatliches Recht umzusetzen sind, zum anderen eine Vielzahl von Einzelproblemen zu lösen: Wie lassen sich Projekte zur Anpassung an den Klimawandel (zB Ausbau von Wasserkraft, Windenergie, Stromleitungen, öffentlichem Verkehr) mit traditionellem Umwelt- und Landschaftsschutz in Einklang bringen? Wie kann Klimaschutz bereits in die Fachplanungen integriert, aber auch im traditionellen Umweltanlagenrecht berücksichtigt werden, etwa indem die Abwägung als Voraussetzung von Projektgenehmigungen und die Öffentlichkeitsbeteiligung in Verwaltungsverfahren weiterentwickelt wird? Realistisch betrachtet setzt die Beforschung von Nachhaltigkeitsfragen im öffentlichen Recht auch eine hohe wirtschaftsrechtliche Kompetenz voraus, die die Fakultät durch ihre Berufungspolitik gezielt stärken will. Insoweit ist z.B. zu untersuchen, wie Klima- und Umweltschutz mit wirtschaftsrechtlichen Instrumenten, insbesondere durch das Beihilfen- und Vergaberecht gestärkt und mit Blick auf seine soziale Dimension in die Daseinsvorsorge integriert werden kann, aber auch, wie ein glaubwürdiges System von Nachhaltigkeitszertifikaten für Produkte und Dienstleistungen funktioniert. Aufbauend auf den öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen werden steuerrechtliche Maßnahmen auf ihre Lenkungswirkung hin untersucht. Der Einsatz von Steuern hat sich oft als eine bessere Alternative zur echten Marktregulierung erwiesen.

Seit die Europäische Kommission Unternehmen und Kapitalmarkt als entscheidende Hebel zur Erreichung der Ziele ihres Europäischen Green Deal erkannt hat, wird auch das Unternehmens-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht zunehmend von Nachhaltigkeitsaspekten geprägt. Neue Rechtsakte werden in rascher Abfolge erlassen und betreffen nahezu alle Bereiche des Wirtschaftsprivatrechts. Zu nennen sind hier beispielsweise die Nachhaltigkeitsberichterstattung, insb nach der Taxonomie-VO, und die sogenannte Environmental Social Governance (ESG), die auf vielen Ebenen des Gesellschaftsrechts auf eine nachhaltige Unternehmensführung zielt, etwa bei Vorstandsvergütung, Vorstands- und Aufsichtsratspflichten sowie „Lieferkettenverantwortung“ großer Unternehmen für Umwelt- und Menschenrechtsstandards in ihrer gesamten Wertschöpfungskette (s den aktuellen Kommissionsvorschlag einer Corporate Sustainability Due Dilligence Directive). Im Kapitalmarktrecht geht es beispielsweise um die Zertifizierung nachhaltiger Anlagen und nachhaltige Anlageberatung, im Lauterkeitsreicht um Bekämpfung von „Greenwashing“, im Kartellrecht um Nachhaltigkeitsvereinbarungen und deren Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV. Insgesamt findet im gesamten Unternehmensrecht (iwS) ein Paradigmenwechsel hin zu einer „Sustainable Corporate Governance“ statt, der an der Fakultät wissenschaftlich begleitet werden muss.
Aus privatrechtlicher und rechtsvergleichender Perspektive stehen haftungsrechtliche Fragen (Microplastic Litigation, Climate Change Litigation, allgemeine Umwelthaftung durch Industrieanlagen, Haftungsfragen im Zusammenhang mit Tierhaltung etc.) im Vordergrund.

Aus zivilprozessualer Sicht rückt zunehmend auch die Lösung von Streitigkeiten in den Fokus, die mit dem Klimawandel einhergehen und vor verschiedenen Gerichten ausgetragen werden.
Das Umweltstrafrecht sichert die in den genannten Rechtsgebieten getroffenen gesellschaftlichen Kompromisse (etwa zu Klima- und Generationengerechtigkeit; Nutzung der Umweltressourcen versus Umweltschutz) ab und leistet so einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der ökologischen Lebensgrundlage des Menschen. Auf europäischer wie internationaler Ebene gewinnt dieses Instrument stetig an allgemeiner Bedeutung ebenso wie in Form eines eigenständigen „Klimastrafrechts“.

Aus rechtsphilosophischer Perspektive beschäftigen insbesondere Herausforderungen der Klima- und Generationengerechtigkeit in globaler wie nationaler Perspektive. Zu erforschen ist etwa die Renaissance von Methoden des zivilen Ungehorsams im Rahmen des Klimaaktivismus und inwiefern solche illegale Protestformen angesichts der Dringlichkeit der Probleme als rechtsethisch legitim erachtet werden können. Weiters stellen sich Fragen globaler Gerechtigkeit und jener zwischen Nationalstaaten angesichts klimabedingter Migrationsbewegungen. Dabei ist auch zu thematisieren, inwieweit das Konzept des Nationalstaats angesichts globaler Herausforderungen in eine Krise gerät und was es gleichwohl weiterhin zu leisten imstande ist.

Im Digitalisierungsrecht stellen sich, beispielsweise, Fragen des ressourcenschonenden IT-Einsatzes („Green IT“) und der ökologischen Auswirkungen von rechtlich-technischen Innovationen (Clouds, Blockchain, insb. Bitcoin).

Insgesamt gilt es in diesem Forschungsschwerpunktes folglich, die Bezüge der Nachhaltigkeit zu Umwelt, Wirtschaft und Sozialem zu identifizieren, sie rechtswissenschaftlich zu analysieren, Interdependenzen herauszuarbeiten und, soweit angezeigt, auf Grundlage der Forschungsergebnisse Handlungsoptionen aufzuzeigen.

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