1938 – 2018 am Juridicum

12.03.2018

Im März 2018 jährt sich der „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich zum 80. Mal.

Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien war damals massiv betroffen – Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und Studierende wurden Opfer des NS-Terrors, und nicht wenige machten sich mitschuldig. Wir gedenken der Opfer und ihres individuellen Leids; wir schämen uns für jene, die sich am Unrecht beteiligt haben oder es auch nur nach 1945 verschwiegen und beschönigt haben. Und wir sehen den gewaltigen intellektuellen Verlust, den unsere Fakultät damals erlitten hat, ein Verlust, der noch jahrzehntelang fortgewirkt hat.

Im Sommersemester 2018 findet aus Anlass des Gedenkjahres die Ringvorlesung „Krisen des Rechts – 1938 und heute“ statt, die sich mit für die NS-Zeit typischen Phänomenen auseinandersetzt, welche auch heute noch in anderen Kontexten zu beobachten sind (https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=030258&semester=2018S).

Dabei handelt es sich freilich durchaus nicht um die erste Befassung mit dem Themenkreis „Nationalsozialismus“ am Juridicum:

In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Juridicum vielmehr zur in Österreich führenden juristischen Forschungseinrichtung zu Fragen des NS-Unrechts und seiner Folge in der Zweiten Republik. So fand bereits 1988 eine weitbeachtete Ringvorlesung zu „Nationalsozialismus und Recht. Rechtsetzung und Rechtswissenschaft in Österreich unter der Herrschaft des Nationalsozialismus“ (Publikation 1990) statt. An diesem Projekt waren schon damals als junge Assistierende Personen beteiligt, die heute am Juridicum lehren, insbesondere Univ.-Prof. Dr. Franz Stefan Meissel und ao. Univ.-Prof. Dr. Ilse Reiter-Zatloukal.

Im Auftrag Historikerkommission der Republik Österreich (die von Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner 1999-2004 geleitet wurde) waren Angehörige der Fakultät in wichtigen Projekten beteiligt, ua mit der systematischen Auswertung der Rückstellungsjudikatur der Nachkriegszeit (siehe Meissel/Olechowski/Gnant, Untersuchungen zur Praxis der Verfahren vor den Rückstellungskommissionen, 2004).

2009 veranstaltete die Fakultät eine Ringvorlesung zu „Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht“, die sich insbesondere mit den Auswirkungen des „Anschlusses“ 1938 auf den Lehrkörper der Wiener Fakultät und die Rechtswissenschaft auseinandersetzte (Meissel/Olechowski/Reiter-Zatloukal/Schima, Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht, 2012) 2012). Gemeinsam mit dem OGH wurde im März 2014 bei einem internationalen Symposion der Auflösung des OGH im Jahr 1939 gedacht.

Im Jahr des Universitätsjubiläums 2015 kuratierten Univ.-Prof. Dr. Franz Stefan Meissel und ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Olechowski die Ausstellung „Bedrohte Intelligenz. Von der Polarisierung und Einschüchterung zur Vertreibung und Vernichtung im NS-Regime“. Im Rahmen des FWF-Projekts „Privatrecht in unsicheren Zeiten – Zivilgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus“ wurde von 2014-2017 in einer von Prof. Meissel geleiteten Forschungsgruppe unter anderem die zivilrechtliche Judikatur des LG Wien für die Zeit 1938-1945 systematisch ausgewertet und analysiert. Die Ergebnisse wurden bei einem Symposion im März 2017 der Öffentlichkeit präsentiert und sind 2017 als Sonderband der „Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs“ erschienen.

Im Rahmen von wissenschaftlichen Konferenzen wurden immer wieder Aspekte des Antise-mitismus aufgegriffen, so z.B. 2015 bei der rege besuchten Konferenz „Antisemitismus in Österreich 1933–1938“ (https://antisemitismus1933-1938.univie.ac.at/). Der Tagungsband mit 58 Beiträgen wird Juni 2018 im Druck vorliegen. Im Jänner 2018 fand am Juridicum eine Tagung zu rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit NS-Wiederbetätigung unter dem Titel: „ ,...um alle nazistische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern‘. Verhältnis und Konkurrenz von Verbotsgesetz, Abzeichengesetz und Verwaltungsstrafrecht“ statt (https://verbg2018.univie.ac.at/). Darüber hinaus haben sich zahlreiche Fakultätsmitglieder in ihren Publikationen mit antisemitischer Ideologie und deren Praktiken auseinandergesetzt, darunter auch etwa in Arbeiten zur Fakultätsgeschichte (siehe etwa http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/eric-kandel-bei-buchprasentation-an-der-universitat-wien-der-lange-schatten-des-antisemitismus/; http://www.v-r.de/_files_media/mediathek/downloads/881/9783737097994_OA_CC_BY_NC_ND.pdf) .

Weiters wurde am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte in den letzten Jahren ein großes Forschungsprojekt über die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung österreichischer ÄrztInnen in Österreich 1938 bis 1945 durchgeführt (https://drmed1938.univie.ac.at/), dessen Ergebnisse 2018 im Druck vorliegen werden. Ein Projekt zu jüdischen RechtsanwältInnen und RechtsanwaltsanwärterInnen in der NS-Zeit in Kooperation mit dem Verein zur Erforschung der anwaltlichen Berufsgeschichte der zwischen 1938 und 1945 diskreditierten Mitglieder der österreichischen Rechtsanwaltskammern ist in Vorbereitung.

Im Bereich der Lehre wird regelmäßig,  über die Veranstaltungen des Forschungsclusters hinaus, in zahlreichen Lehrveranstaltungen, insbesondere aus rechtsgeschichtlicher oder religionsrechtlicher Sicht, Erscheinungsformen des Antisemitismus nachgegangen. So hat sich etwa ein Kurs am 9. und 10. November 2017 mit Beteiligung renommierter fakultätsexterner WissenschaftlerInnen unter dem Titel „,Jüdischsein‘ in Österreich im Spiegel des Rechts“ mit einschlägigen historischen Schlaglichtern und aktuelle Fragestellungen beschäftigt (https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=030576&semester=2017W ; https://medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/juristinnen-tragen-gesellschaftspolitische-verantwortung/). Eine Fortsetzung dieses Kurses im WS 2018/19 mit Fokussierung auf Vertreibung und Beraubung in Folge des „Anschlusses“ 1938 und die Konstruktion sowie Konsequenzen der österreichischen Opferthese wird am  8. und 9. November 2018 am Juridicum stattfinden.

Die Fakultät hofft, mit diesen und weiteren Aktivitäten auch das Bewusstsein der Studieren-den für die ethischen Anforderungen der von ihnen angestrebten Tätigkeitsfelder als JuristInnen zu schärfen, denn JuristInnen haben, wie auch die Sponsionsformel zum Ausdruck bringt, die ihnen „übertragenen Ämter und Aufgaben ohne Ansehen der Person so ausüben, dass damit der Gleichheit und Würde der Menschen und dem Ansehen des Rechts am besten gedient wird.“