Internationales
Der Blick nach außen schärft die Sicht die eigene Rechtskultur
Das Recht, so lernen die Studierenden schon sehr früh, ist ein vom Staat und damit national geprägtes Phänomen. Trotzdem ist das Wiener Juridicum sehr international. Das erschließt sich vielleicht erst auf den zweiten Blick: Hier an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien werden nicht bloß – neben dem österreichischen Recht – auch Europa- und Völkerrecht gelehrt; auch die Studierenden und Lehrenden überschreiten in vielfacher Hinsicht die Grenzen des Landes. Das akademische Umfeld macht sogar freundschaftliche internationale Begegnungen zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem in der Diplomatie noch Eiszeit herrscht.
Von Benedikt Kommenda
Es geschah im Frühjahr 2015. Die Sanktionen des Westens gegen den Iran sind noch aufrecht, der Verdacht, die Mullahs bauten eifrig an der Atombombe, steht noch im Raum. Das hindert nicht ein Team der Allameh Tabatabaei Universität (Teheran), zur feierlichen Eröffnung des Willem C. Vis Moot im Wiener Konzerthaus anzureisen. Der Vis Moot ist ein Wettbewerb, in dem sich Studierende aus aller Welt in einem fiktiven Streitfall der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit messen. Der Showdown findet regelmäßig zu Ostern in Wien statt, mitbetreut von der Wiener Jusfakultät.
Fachlich sind die Iraner bei ihrer Premiere in Wien chancenlos. Sie konnten sich nicht annähernd so gut vorbereiten wie die Konkurrenz, fehlen doch an den iranischen Universitäten die Fachliteratur zum internationalen Handelsrecht und ein Zugang zu Rechtsdatenbanken. Das Team ist schon froh, dass es sich die Reise und das Hotelkosten leisten konnte. Immerhin haben sich amerikanische Professoren gefunden, die das Team via Skype für die Hearings in Wien gecoacht haben. Hier treten die iranischen Gäste mit großer Freude vor dem simulierten Schiedsgericht auf, amerikanische Uni-Teams unterstützen sie nach Kräften. Es entstehen Freundschaften, die noch heute gepflegt werden – auch und erst recht, nachdem die internationalen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben sind. Der Auftritt der Iraner in Wien veranlasst die Organisatoren zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie vergeben spontan einen „Spirit of Vis Award“, um das große Engagement des iranischen Teams zu würdigen.
Für Univ.-Prof. Dr. Paul Oberhammer, in dessen Fach Zivilverfahrensrecht der Vis Moot fällt, folgt die Internationalität der Rechtswissenschaftlichen Fakultät freilich nicht einem plötzlichen Einfall, sondern einem Programm: Er sieht die Internationalisierung als eine Art Megatrend auch des Rechts. Es liege deshalb an der Universität, die Studierenden auf diese Entwicklung vorzubereiten, an der sie später ja auch als Berufstätige mitwirken werden. „Wenn das Rechtssystem irgendwo zukunftsfähig gemacht werden kann, dann an der Universität“, sagt Oberhammer. „Grenzüberschreitendes ist ein Wachstumsbereich.“ Das gelte nicht nur für Fächer, denen das Überschreiten des Einzelstaates immanent ist, wie Völker- und Europarecht, sondern für alle Disziplinen: „Auch wenn der Gegenstand nur das österreichische Recht ist, gewinnt die Beschäftigung damit an Höhe und Niveau, wenn sie vor einem internationalen Hintergrund betrieben wird. Die Rechtsvergleichung ist eine unerschöpfliche Erkenntnisquelle.“
Wettbewerbe wie der Vis Moot sind angewandte Internationalität. Sie bieten auch den Studierenden aus Wien, die regelmäßig ganz vorne mitmischen, praktisch verwertbare Möglichkeiten: Kontakte ins Ausland zu knüpfen, Erfahrungen für ihr späteres Berufsleben zu sammeln. Neben dem Vis Moot werden an der Fakultät noch fünf weitere Moot Courts betreut. Die Intensität der Betreuung ist wesentlich höher als sonst auf der stark frequentierten Wiener Jusfakultät, der größten im deutschen Sprachraum.
Die Teilnahme an einem Moot zählt auch als Münze beim Erwerb des juristischen akademischen Grades: Unter bestimmten Voraussetzungen können ein bis zwei Diplomandenseminare, die man im Allgemeinen auf dem Weg zum Magisterium in Wien absolvieren muss, durch die Teilnahme an einem Moot Court ersetzen, sagt ao. Univ.-Prof. Dr. Bettina Perthold, ehemalige Studienprogrammleiterin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. „Mag. iur.“ steht allerdings am Ende des Studiums – da haben die Studierende längst auf auch auf andere Weise dessen internationalen Bezüge kennen gelernt.
Das gesamte Studium ist, von der Studieneingangs- und Orientierungsphase angefangen, neben dem Schwerpunkt im österreichischen Recht auch international ausgerichtet: Einerseits werden – im zweiten Abschnitt – die Einwirkungen des EU-Rechts auf die verschiedenen Rechtsgebiete berücksichtigt. „Die einzelnen Fächer haben das Europarecht im Blick, im Zivilrecht und Strafrecht wird das mitunterrichtet“, sagt Perthold, die selbst am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht lehrt. Im dritten, staatswissenschaftlichen Abschnitt folgen eigene Lehrveranstaltungen und Prüfungen im Europa- und im Völkerrecht.
Das Völkerrecht hat am Juridicum eine besondere Tradition und ist auch entsprechend stark vertreten. So stark, dass es sogar auf andere Fächer übergreift: Die Wiener Fakultät leistet sich als wohl einzige weit und breit einen Schwerpunkt im Spezialfach Völkerrechtsgeschichte. Univ.-Prof. Miloš Vec, stellvertretender Vorstand des Instituts für Rechts- und Verfassungsgeschichte, betrachtet es als einen „besonderen Ausdruck von Internationalisierung“, dass diese seine Domäne hier so gut ankommt. „Wir haben jedes Semester dreistellige Anmeldezahlen“, sagt Vec. „Ich finde es besonders schön, dass Juristen sich dafür interessieren.“
Vec, deutscher Staatsbürger mit Migrationserfahrung in Gestalt von Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien, beginnt seine Vorlesung aus Völkerrechtsgeschichte im 4. vorchristlichen Jahrtausend und kommt bis in die Gegenwart. Er hält aber auch „normale“ verfassungs- und rechtsgeschichtliche Lehrveranstaltungen: „Auch die österreichische Rechtsgeschichte lässt sich nur im internationalen Kontext verstehen.“ Internationalität spiegelt sich auch bei den Studierenden wider: Jus in Wien ist das Fach, das – sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentuell – von den meisten Studierenden mit Migrationshintergrund frequentiert wird. Diese interessieren sich gleichsam von selbst für die internationalen Bezüge, sie sehen und verstehen Österreich (auch) von außen.
Die Wiener Völkerrecht-Expertise wird zugleich auch im Ausland sehr geschätzt. Das zeigt sich etwa daran, dass drei Mitglieder am Haager Schiedsgericht, dem „Ständigen Schiedshof“, von der Wiener Fakultät kommen: Univ.-Prof. Ursula Kriebaum, Univ.-Prof. August Reinisch und der bereits pensionierte Univ.-Prof. Gerhard Hafner. Ein ähnliches Bild zeigt das renommierte Institut de Droit International in Paris, dem ebenfalls Reinisch und Hafner (und der Salzburger Univ.-Prof. Franz Matscher) angehören.
Kriebaum wiederum hat als Sachverständige am New York Supreme Court in einem Enteignungsfall fungiert. „Wir sind alle stark in der Praxis vernetzt“, sagt Kriebaum. „Wir können den Studierenden vermitteln, was in der Praxis geschieht.“ Ein institutionalisierter Einsatz in der Diplomatie hat mit Kriebaum sein Ende gefunden: Es herrschte die Tradition, dass alle im Völkerrecht Habilitierten ein Jahr lang dem Außenministerium dienstzugeteilt waren. Kriebaum war die letzte, die auf diese Weise noch die Probleme des täglichen Lebens im Völkerrechtsbüro miterleben konnte; seit die Universität als Rechtsträger ausgegliedert wurde, ist das nicht mehr so einfach möglich.
Der internationale Austausch von Lehrenden und Studierenden funktioniert hingegen besser denn je: „Wir haben immer mehrere ausländische Gastprofessoren da“, erzählt Kriebaum, auch ausländische Hörerinnen und Hörer gehen am Institut aus und ein: Jeden Jänner etwa gibt es besonders viele Wahlfachkorbveranstaltungen (in Englisch), die für Australier – sie haben daheim Sommerferien – sehr attraktiv sind. Erasmusstudierende verbringen hingegen meist mehr als nur einen Monat am Juridicum, und dies in großer Zahl und von vielen Universitäten kommend.
„Wir haben im Rahmen des Erasmus-Plus-Programm derzeit 91 Partneruniverstäten in ganz Europa“, berichtet Univ.-Prof. Helmut Ofner, Vorstand des Instituts für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung. 180 Studierende, die aus dem Ausland an die Wiener Fakultät kommen, und fast ebenso viele, die von hier ins Ausland wechseln, sind Normalzustand aus Wiener Sicht, aber nicht global betrachtet. „Mit dieser Auslastung liegen wir international im Spitzenfeld“, sagt Ofner. Und von den Absolventinnen und Absolventen jedes Jahrgangs waren regelmäßig 25 bis 30 Prozent im Laufe des Studiums zumindest einmal an einer ausländischen Universität studieren.
Das grenzüberschreitende Kommen und Gehen wirkt sich naturgemäß auch auf den persönlich-zwischenmenschlichen Bereich aus. „Erasmus Experience“ lautet unter Studierenden das Codewort für Annäherungen, die sich abseits der Juristerei abspielen und die auch durchaus gesucht werden: „Wenn die Kolleginnen hören, dass ich Walzer tanzen kann, flippen sie aus“, sagt ein blonder Drittsemestriger in der Aula des Juridicums schmunzelnd.
Von Wien aus gehen die werdenden Juristinnen und Juristen am liebsten an englischsprachige Universitäten. Von denen gibt es zwar auch genug auf der Welt, doch sind ausgerechnet jene in Großbritannien und Irland besonders schwer als Partneruniversitäten zu gewinnen: Denn sie verlieren durch Austauschprogramme Geld; weder von den Gaststudierenden, die zu ihnen kommen, noch von den eigenen Leuten, die vorübergehend zum Beispiel nach Wien wechseln, dürfen sie die sonst üblichen Studiengebühren verlangen. Trotzdem gelingt es der Wiener Fakultät immer wieder, auch jenseits des Ärmelkanals weitere Anlaufstationen für die Studierenden zu finden. Offen ist noch, wie sich der Austausch von Studierenden infolge des Brexit-Referendums entwickeln wird, bei dem die Briten im Juni 2016 mehrheitlich für einen Austritt aus der EU gestimmt haben.
In Frankreich hingegen bleiben regelmäßig viele Plätze ungenützt, die Studierenden aus Wien offen stünden. Dabei bemüht sich die Fakultät, das Französische nicht zu kurz kommen zu lassen. So gibt es einen Wahlfachkorb „Culture juridique francophone européenne et internationale“, mit Europa- und Völkerrecht in französischer Sprache. Laut Univ.-Prof. Franz Stefan Meissel, Studienprogrammleiter für das Doktorat an der Fakultät und hauptverantwortlich für diesen Wahlfachkorb, geben etwa 20 Prozent der Studierenden an, gute Französisch-Kenntnisse zu haben. Meissel ist Professor am Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte und spricht selbst perfekt Französisch. „Das ist als Sprache für juristisches Denken faszinierend, weil man sich präziser ausdrücken muss als im Englischen und vor allem als im Deutschen“, erklärt Meissel. Der einfache Grund: Die Haupt-, Eigenschafts- und sonstigen Wortzusammensetzungen, die im Deutschen so beliebt sind, „verschleiern oft, was wie zusammengehört“. Davon abgesehen ist Französisch in ganz Europa eine weit verbreitete Fremdsprache, dazu noch Kommunikationssprache in Tunesien, Algerien, dem Nahen Osten oder Marokko. Meissel: „In einer Welt, die immer kleiner wird, ist nicht nur Englisch wichtig.“
Damit Studierende durch Auslandssemester – oder, seltener, gar Auslandsjahre – keine Zeit verlieren, wird regelmäßig im Vorhinein klargestellt, welche Inhalte sie angerechnet bekommen. Klassische Gebiete dafür sind das Europarecht, das Völkerrecht und diverse Wahlfächer. Für diese gibt es seit kurzem auch ein Erasmus-Praktikumsprogramm, auf dessen Grundlage Studierende drei Monate an einer Diplomatischen Vertretung oder bei einer Handelsdelegation schnuppern können.
„Je mehr Internationalität, desto besser“, meint Ofner mit Blick auf die Studierenden. „Für ihre weitere Karriere ist es wichtig, dass sie internationale Erfahrungen sammeln.“ Denn: Sprachkompetenz und das Wissen, dass es außerhalb der österreichischen Rechtsordnung auch andere gibt, seien schon wichtig. Am Juridicum gebe es regelmäßig rund 40 englischsprachige Lehrveranstaltungen und mehr als ein halbes Dutzend weitere in Französisch.
Um den Gebrauch von Fremdsprachen zu fördern, hat die Universität Wien der Fakultät ein neues Programm bewilligt: die „Vienna Doctoral Academy“. Sie soll sehr gute Doktoratsstudierende mittels einer finanziellen Unterstützung dazu anregen, die Ergebnisse ihrer Dissertation auf Englisch zu publizieren. Das Ziel: ein polyglottes Online-Medium aufzubauen, das als eine Art „Tor in die Welt“ fungiert, wie Perthold es ausdrückt.
Auch Univ.-Prof. August Reinisch, Völkerrechtler und ehemaliger Vizedekan, bemüht sich darum, dieses Tor möglichst weit aufzumachen. „Über Erasmus hinaus haben wir eine Reihe von gesamtuniversitären Austauschabkommen, über die unsere Studenten auch außerhalb Europas ins Ausland gehen können.“ USA, China und Australien zählen zu den beliebtesten Zielländern auf anderen Kontinenten, direkte Abkommen mit Law Schools wie jener an der UCLA (University of California) und an den Universitäten von Shanghai oder Macao und von Sydney erleichtern den Weg dorthin.
Und hierher: Erst kürzlich war wieder eine Professorin aus Sydney für zwei Monate in Wien, auch als Zeichen des austro-australischen Austauschs: „Ich will die Austauschprogramme plakativ verfügbar haben“, sagt Reinisch. Nicht selten sieht man an der Fakultät auch Studierende aus China. „Für die Chinesen, die ins Ausland gehen, ist nicht immer das US-Recht das interessanteste. Viele fragen, ob sie hier studieren können“, sagt Reinisch. Anstatt sie allerdings beispielsweise ins reguläre Doktoratsstudium einzugliedern, das doch sehr aufwendig und für die Gäste aus Fernost kaum zu bewältigen ist, weist Reinisch sie lieber auf das Modell des „Visiting PhD“ hin: Die Universität Wien bietet Fremden damit den Status von Studierenden, ohne dass diese hier inskribiert und formell der Studienordnung unterworfen wären.
Der Drang von hier nach Fernost ist noch nicht so stark wie der in umgekehrter Richtung. „Unsere Studierenden haben ein wesentlich eingeschränkteres Interesse, alle wollen in die USA gehen oder Erasmus nutzen.“ Reinisch rührt deshalb die Werbetrommel, so oft er kann: „Die Studierenden sollten bereit sein, mehr über den klassischen Erasmus-Tellerrand hinauszuschauen. Statt mit Erasmus nach Hannover zu gehen, kannst Du jetzt auch ein Semester in Macao studieren“, schwärmt er. Die Universität bemüht sich darum, mittels Stipendien solche Aufenthalte auch finanzierbar zu machen. Das Interesse an China wachse aber immerhin, teils aus Freude am Exotischen, teils, weil es mehr und mehr als echte Alternative zur Vertiefung in Europa gesehen werde.
Schon seit vielen Jahren konzentriert sich Univ.-Prof. Wolfgang Mazal auf Fernost. Der Arbeits- und Sozialrechtler ist Asienbeauftragter der Fakultät, und das eigentlich infolge eines Zufalls. Sein Vorgänger am Institut für Arbeits- und Sozialrecht, em. Univ.-Prof. Theodor Tomandl, hatte Ende der 1980er Jahre Bekanntschaft mit einer Delegation einer japanischen Universität gemacht. Diese war in der Wiener Innenstadt unterwegs und suchte die Universität Wien, stieß aber zuerst auf das Juridicum. Das war der Beginn einer Zusammenarbeit, die bald mehrere japanische und dann auch chinesische Universitäten erfasste und von Mazal weiter betreut wurde und wird.
Warum das interessant ist, erklärt Mazal so: „Der Blick nach außen und von außen schärft das Verständnis für das eigene. Das ist per se ein Wert, weil es einen daran hindert, sich über die österreichischen Lebenslügen hinwegzuschwindeln.“ Auf diese Weise eröffnen sich ungewohnte Perspektiven, etwa beim Blick auf die japanische Gesellschaft: Diese schafft es trotz niedrigerer Geburtenrate und ohne nennenswerte Zuwanderung, sich zu reproduzieren; die Japaner gehen selbst mit 65 nur ungern in Pension, während es den Österreichern gar nicht schnell genug in den Ruhestand gehen kann. Dabei sind die Rechtsordnungen in Japan und Österreich durchaus vergleichbar, woraus Mazal folgert: „Es ist nicht getan mit neuen Gesetzen, es geht auch um die Mentalität.“
In China wiederum findet Mazal interessant zu beobachten, wie man versucht, die sozial disparate Gesellschaft – ein Fünftel der Menschheit, in dem Arm und Reich so weit wie sonst kaum wo auseinanderklaffen – zusammenzuführen und dabei ein System der sozialen Sicherheit aufzubauen. Dazu gehört beispielsweise Collective bargaining, bei uns besser bekannt unter dem Stichwort Sozialpartnerschaft.
Auf eine individuelle und ganz besondere Weise trägt Univ.-Prof. Michaela Windisch-Graetz dazu bei, Wissen zwischen Europa und Asien zu transferieren – konkret in Richtung des Königreichs Bhutan. Windisch-Graetz ist die stellvertretende Vorständin des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht, und sie hat als Zweitstudium Völkerkunde mit Schwerpunkt Tibetologie betrieben. Bhutan ist erst im Jahr 2008 von einer theokratischen, also von Gott abgeleiteten, zu einer konstitutionellen Monarchie geworden. Und es baut jetzt nach und nach ein eigenes System von gesatztem Recht auf. Und zu diesem Zweck richtet Bhutan jetzt eine erste juridische Fakultät, für die Kooperationspartner aus Europa dringend benötigt werden: für Österreich in Person von Windisch-Graetz: „Ich leite die Kooperation zwischen der Juridischen Fakultät und dem Royal Institute of Law of Bhutan.“ Ziel sei es, eine selbstständige Ausbildung bhutanischer Juristen zu ermöglichen, die dann die Rechtsordnung des Landes mit Leben erfüllen.
So viel Völkerverbindung auf eine Person konzentriert ist naturgemäß eher die Ausnahme. Lange und gute Tradition hat hingegen die „Sommerhochschule“, die seit ihrer Gründung unmittelbar mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät verbunden ist. Sie wurde, wie ihr heutiger Leiter Franz Stefan Meissel erzählt, 1949 von Kirchenrecht-Professor Willibald Maria Plöchl (1907–1984) gegründet. Plöchl war in der NS-Zeit als politisch Verfolgter ins amerikanische Exil gegangen; nach Österreich zurückgekehrt arbeitete er eng mit den US-Besatzungsbehörden zusammen und rief in der amerikanischen Zone eine Institution ins Leben: die besagte Sommerhochschule, die amerikanischen Studierenden über Österreich Europa näherbringen sollte. Sukzessive beteiligten sich immer mehr Personen aus Österreich und dann auch aus anderen Ländern. Heute kommen die „United Nationals on the shore of Lake Wolfgang“ aus drei Dutzend Ländern, um im Sommer in St. Wolfgang ein interdisziplinäres akademisches Programm zu verfolgen. Mindestens genauso wichtig auch hier auf dem Campus: das direkte Kennenlernen der Menschen untereinander, die Begegnung mit anderen Kulturen.
Verglichen mit der Sommerhochschule ist, fast 70 Jahre später, eine weitere internationale Institution mit der Universität Wien gleichsam als Trägerrakete gestartet: das European Law Institute, kurz ELI. Es geht auf eine Initiative der aus Deutschland stammenden Zivilrechtlerin Univ.-Prof. Christiane Wendehorst zurück. Wendehorst war 2008 an die Wiener Rechtsfakultät gekommen. Dank hervorragender internationaler Kontakte und erfolgreichen Netzwerkens schaffte sie es bis 2011, das Institut einzurichten, das für die Fortentwicklung des Rechts in der EU von großer Bedeutung ist. „Ich habe schon das Gefühl, dass Wien heute viel stärker als Zentrum des europäischen Rechts wahrgenommen wird. Brüssel als Sitz der wichtigsten EU-Institutionen sei zwar unschlagbar, dann folgten Luxemburg und Straßburg, aber dann schon Wien, meint Wendehorst.
Dabei sieht sie noch Luft nach oben: Denn nicht nur die Äußerlichkeit des ELI-Standorts fördert Wiens Bedeutung, sondern auch die Art, wie Österreichs Recht sich inhaltlich darstellt. „Das österreichische Recht würde eine optimale Vermittler- und Brückenfunkton zwischen dem eigenständigen deutschem Rechtskreis und den meisten anderen europäische Rechtsordnungen bieten“, meint Wendehorst. Warum? Es vereint – im Zivilrecht – die pandektistische, auf der Tradition des Römischen Rechts fußende Dogmatik mit der naturrechtlichen Kodifikation nach französischem Vorbild, gepaart mit einem großen Maß Pragmatismus, der das nordische Recht prägt.
„Es wird leider wenig wahrgenommen, aber ich glaube, dass Österreich eine viel größere Rolle spielen könnte beim Prozess der europäischen Rechtsvereinheitlichung“, sagt Wendehorst. Sie habe schon öfters erlebt, wie nach langen Diskussionen – etwa über ein neues Irrtums- oder Gewährleistungsrecht – eine Lösung just nach Art des österreichischen Rechts herauskommt. „Niemand wird das je zugeben, und alle würden einen auslachen, wenn man das laut sagt, aber man kann es an verschiedenen Beispielen belegen.“
Bei den Studierenden und auch beim akademischen Nachwuchs wünscht sich Wendehorst noch viel mehr Engagement in internationalen Belangen. „Ich sehe oft eine nationale Engstirnigkeit, die mich schon beunruhigt. Bei manchen herrscht teilweise ein absolutes Desinteresse an allen Fragen, die über die österreichische Landesgrenzen hinausgehen.“ Wendehorst appelliert vor allem an die Jungen, die in Wien gegebenen Chancen zu nutzen, in internationale Netzwerke zu kommen.
Vielfach vernetzt sind indessen auch schon die Institute von Fächern, bei denen die Rechtsangleichung noch nicht so weit gediehen ist wie im Zivilrecht. Im Steuerrecht beispielsweise ist Univ.-Prof. Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Vorständin des Instituts für Finanzrecht, in ständigem informellem Kontakt mit ausländischen (vor allem europäischen) Wissenschaftler- und Praktikergruppen; ihr Institutskollege Univ.-Prof. Gunter Mayr, der zugleich Chef der Sektion „Steuerpolitik und Steuerrecht“ im Finanzministerium ist, trifft sich regelmäßig mit Spitzenbeamten anderer Länder.
Auch das Strafecht, ein Fach, das sich laut Institutsvorständin Univ.-Prof. Susanne Reindl-Krauskopf primär in Österreich „abspielt“, darf nicht hier stehen bleiben. „Schon die Kriminalitätsentwicklung zwingt uns dazu, uns der europäischen Dimension des Strafrechts zuzuwenden.“ So wirkt Reindl-Krauskopfs Institutskollege Univ.-Prof. Helmut Fuchs an der „European Criminal Policy Initiative“ mit, die sich der europäischen Strafrechtspolitik widmet.
Während Reindl-Krauskopf schon längere Zeit intensiven Kontakt mit der australischen „University of Queensland“ pflegt, funktioniert die internationale Begegnung auch im gutnachbarlichen Bereich: Am Strafrechtsinstitut forscht zurzeit Aline Girod-Frais, eine junge Schweizerin, die in Lausanne bereits einen PhD in Forensischen Wissenschaften gemacht hat und in Wien eine Arbeit über Kriminologie verfassen will. Sie erforscht die „Kommunikation zwischen den Akteuren des Justizsystems: Was geht gut, was geht nicht gut?“, sagt Girod-Frais.
Univ.-Prof. Heinz Faßmann, Geograf und ehemaliger Vizerektor für Internationales der Universität Wien, blickt mit Wohlwollen auf das Juridicum. „Ich verspüre durchaus Zufriedenheit mit der internationalen Verankerung der rechtswissenschaftlichen Fakultät“, sagt Faßmann. „Man könnte vorschnell glauben, die Juristen der Universität Wien haben eine ausschließliche Fokussierung auf das österreichische Recht, aber das entspricht nicht mehr der Realität. Auch bei den Studierenden besteht ein starkes Interesse, sich innerhalb Europas zu bewegen.“ Laut Faßmann gehört die Rechtswissenschaftliche Fakultät zu den mobilsten der Universität gemessen an der Beteiligung an Erasmus. Andere Fakultäten sind in dieser Hinsicht weniger aktiv.
Ähnlich wie Prof. Oberhammer betont auch Prof. Faßmann, wie wertvoll es ist, Rechtsordnungen vergleichen zu können. „Man lernt die eigene Rechtskultur am besten kennen, wenn man sich eine ganz andere anschaut.“ Faßmann spricht vom „Blick des großen Kontrasts“. Oberhammer geht noch einen Schritt weiter: Er verbindet mit den europäischen Aktivitäten der Studierenden eine Hoffnung, die „über die kleine Welt des Juridicums“ hinausgeht, wie er sagt. Oberhammer erwartet sich eine Änderung des „Mindsets“, der Einstellung, indem durch die Erasmus-Studien die Zahl der Studierenden wächst und wächst, die tatsächlich eine europäische Idee verfolgen. Es handle sich dabei gewiss nicht um den Durchschnittsösterreicher, sondern um eine Elite. Aber: „Das ist der Beginn einer europäischen Identität.“
Autor: Mag. Benedikt Kommenda ist einer der Chefs vom Dienst in der Tageszeitung "Die Presse" und leitet dort das wöchentlich erscheinende Rechtspanorama.