Recht und Wirtschaft
Methodisches Denken für eine reale Wirtschaftswelt
An der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien werden Juristen ausgebildet, die jeden Fachbereich beherrschen sollten. Wirtschaftsrecht spielt dabei eine immer größere Rolle. Auch bei der Gestaltung der zukünftigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ist das Juridicum führend – in Österreich und manchmal auch in Europa.
Von Eric Frey
Das moderne Wirtschaftsleben ist ohne juristisches Verständnis und eine ständige Auseinandersetzung mit Rechtsfragen gar nicht mehr vorstellbar. Das kann heute jeder Unternehmer bestätigen, der unzählige Gesetze und Vorschriften kennen muss. Das weiß jeder Verbraucher, der sich beim Kauf eines Produktes geschädigt fühlt. Und das erlebt jeder Manager, der wegen mutmaßlicher Wirtschaftskriminalität vor Gericht landet.
Aber ebenso bringt ein Rechtsstudium eine ständige Begegnung mit Themen, die zum Wirtschaftsrecht zählen oder praktische Auswirkungen für Wirtschaftstreibende haben. Das gilt auch für die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, die es – anders als etwa die Wirtschaftsuniversität Wien – nicht zum Ziel gesetzt hat, nur spezialisierte Wirtschaftsjuristen auszubilden. Aber wer sein Studium am Juridicum abschließt, hat sich in zahlreichen Vorlesungen und Übungen mit Wirtschaftsrecht beschäftigt und ist erfüllt daher bei der Arbeitssuche auch die Anforderungen von großen Wirtschaftskanzleien und Unternehmen, die Inhouse-Juristen oder juristisch versierte Mitarbeiter suchen.
Oft geht es ums Geld
Wirtschaftsrecht, oft verbunden mit ökonomischen Fragen, ist ein integraler Bestandteil der Forschung in der überwiegenden Mehrheit der elf Institute. Das gilt nicht nur für das Institut für Unternehmen- und Wirtschaftsrecht, das als einziges den Begriff in seinem Namen hat, und dem Institut für Finanzrecht, wo sich alles um Geld dreht. Zivilrecht, Zivilverfahrensrecht, Arbeit- und Sozialrecht, Verwaltungsrecht, Strafrecht, Europarecht und internationales Recht – stets geht es um Transaktionen, Verträge, Regulierungen und marktrelevante Gesetze, die Gestaltung und Abläufe des Wirtschaftslebens bestimmen – und in Streitfragen oft über Ansprüche auf große Geldsummen entscheiden können. Anders als in früheren Phasen seiner 600jährigen Geschichte hat das Juridicum als größte rechtswissenschaftliche Fakultät Österreichs heute einen zentralen Platz im Wirtschaftsleben des Landes.
Manche Studienanfänger, die sich vor allem aus Interesse an verfassungs- und menschenrechtlichen Fragen sich für ein Jusstudium entschieden haben, mag das überraschen. Und tatsächlich ist die Begegnung mit wirtschaftsrechtlichen Themen im dem seit dem Jahr 2006 gültigen Studienplan ein schleichender Prozess. Zwar geht es auch im römischen Recht und der Rechtsphilosophie um Fragen des Eigentums, aber das wird selten als Wirtschaftsrecht wahrgenommen. Dies geschieht schon viel eher in den Vorlesungen zum bürgerlichen Recht – also der gesamte große Bereich des Zivilrechts, das im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) seinen Niederschlag findet. Diese beginnen bereits in der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) im 1. Semester und ziehen sich dann durch den ersten Studienabschnitt. Dort werden Studierende auch erstmals mit den Grundlagen des Europarechts mit seinen wirtschaftlichen Grundfreiheiten konfrontiert, sagt Studienprogrammleiterin Bettina Perthold, Professorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht.
40 Wahlfächer in 13 Körben
Im zweiten Studienabschnitt wird das bürgerliche Recht fortgesetzt; dazu kommen Unternehmensrecht, Arbeits- und Sozialrecht sowie das Strafrecht, in dem Wirtschaftsstrafrecht heute viel mehr Beachtung findet als einst. Im dritten Abschnitt stehen das öffentliche Recht mit seinem starken wirtschaftlichen Fokus, das vertiefte Europarecht und schließlich der Bereich „Steuerrecht und ökonomische Kompetenzen“ auf dem Programm.
Das mag für manche eine lästige Pflichtübung sein. Aber wer sich wirklich für Wirtschaftsrecht interessiert, kann bei der Auswahl der Wahlfächer aus den 13 Wahlfachkörben eine breite Kompetenz in zahlreichen Gebieten erwerben oder sich schon frühzeitig auf einen bestimmten Bereich des Wirtschaftsrechts spezialisieren. „Das Angebot an Wahlfächern wurde in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut, von den rund 40 Fächern hat etwa die Hälfte einen wirtschaftsrechtlichen Schwerpunkt“, sagt Perthold.
Die 12 Stunden, die an Wahlfächern vorgeschrieben sind, bedeuten vier bis sechs Kurse, die sich Studierende entweder aus verschiedenen Wahlfachkörben zusammenstellen oder sich auf einen Korb konzentrieren. Besonders beliebt sind dabei Medizinrecht, Mediation, international Legal Practice, Unternehmensrecht und Wohnrecht – alles Gebiete mit starkem Wirtschaftsbezug.
„Wir wollen kein Spezialstudium Wirtschaftsrecht“
Reichen diese Möglichkeiten angesichts der zentralen Bedeutung von Wirtschaft in der modernen Gesellschaft aus? Sollte das Juridicum mehr Wirtschaftspraxis vermitteln, wie es etwa die WU tut?
Dekan Paul Oberhammer lehnt dies ab – und wird darin von der überwiegenden Mehrheit der Fakultät unterstützt. „Wir wollen kein Spezialstudium Wirtschaftsrecht anbieten, sondern eine Ausbildung zum Generalisten, die Studierende zu vielem befähigt“, sagt er. „Und wer sich auf Wirtschaftsrecht spezialisieren will, der hat hier viel mehr Möglichkeiten als an irgendeiner anderen österreichischen Universität.“ Denn das Handwerk, das man am Juridicum lernt, ist das methodische Denken über Rechtsfragen, die in vielen Bereichen ihre Anwendung findet. Ohne diese Grundlagen könne man auch nie als Wirtschaftsjurist erfolgreich sein, betont Oberhammer. „Es gibt einen Unterschied zwischen praxisrelevant und praxisnah. Durch ein Nachstellen der Praxis würden wir unsere Studierenden sehr ineffizient für ihr Berufsleben vorbereiten. Dann wird man zum kleinkarierten Sachbearbeiter, der mit komplexen Fällen nicht umgehen kann.“
So sieht das auch Christian Rabl, Professor für Zivilrecht und selbst als Rechtsanwalt tätig. Obwohl er selbst Lehre und Praxis verbindet, tritt er für eine weitgehende Trennung an der Universität ein. „Dieses Haus soll sich darauf konzentrieren, das Grundlagenwissen zu lehren und die Fundamente zu schaffen, statt eine Anwalts- oder Richterausbildung vorwegzunehmen.“
Fast alles basiert auf dem ABGB
Wie wichtig die Fähigkeit ist, juristisch denken zu können, zeigt sich besonders im Zivilrecht; denn der Großteil unseres Wirtschaftslebens baue immer noch auf dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) auf, betont Brigitta Zöchling-Jud, Professorin am Institut für Zivilrecht: „Das gilt für große Börsengänge oder Unternehmenskäufe genauso wie für das gesamte Verbraucherrecht, Gewährleistungsrecht, das Bankvertragsrecht oder das Recht der Kreditsicherheiten. Die Basis ist immer das ABGB, und diese zu erlernen bringt den Studierenden eine unentbehrliche Grundlage für das spätere Berufsleben.“
Ein Grundverständnis ökonomischer Theorien hat immer schon zum Studienplan gehört. Gab es einst eine volkswirtschaftliche Vorlesung im ersten Studienabschnitt, so sind Betriebswirtschaftslehre, Bilanzrecht und Finanzwissenschaften nun in den dritten Abschnitt gewandert. „Auch der Jusstudent, der in ganz klassische Berufe gehen möchte, muss in der Lage sein, die Wirtschaftsseiten einer Zeitung zu verstehen,“ sagt Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Vorstand des Instituts für Finanzrecht und selbst jahrelang als Steuerberaterin tätig. „Und er soll wissen, wo er in einer Bilanz nachschauen muss, wenn es um Eigenkapital geht.“
Den Kuhkauf gibt es nicht mehr
Eine vertiefte volkswirtschaftliche Ausbildung hält Zöchling-Jud angesichts der knappen Zeit, die ein Studierender am Juridicum verbringt, nicht für zielführend. „Volkswirtschaft zu lehren ist nicht unsere Aufgabe, sondern wirtschaftlich relevante Rechtsfragen zu begleiten und lösen zu können. Und das haben wir in den vergangenen Jahren immer mehr getan.“ Sie höre von Studierenden keine Klagen über fehlenden Realitätsbezug. „Das Juridicum hat sich weiterentwickelt, auch durch die starke Verjüngung der Kollegenschaft. Die Zeiten, in denen wir Rechtsfragen anhand eines Kuhkaufs dargestellt haben, sind längst vorbei. Wer hier studiert, erkennt schnell, dass er mit dem, was er hier lernt, in der Wirtschaft viel anfangen kann.“
Wirtschaftsfragen durchdringen immer mehr Rechtsgebiete, und zahlreiche Professoren wählen in ihrem Fachgebiet wirtschaftliche Schwerpunkte. Dekan Oberhammer ist Professor für Zivilverfahrensrecht, wo z.B. das materielle Insolvenzrecht gegenüber Verfahrensfragen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein weiteres Wachstumsgebiet ist die Schiedsgerichtsbarkeit, die aus dem gelebten Vertragsrecht gar nicht mehr wegzudenken ist.
Das weiß auch August Reinisch, Professor für Völkerrecht, dessen Schwerpunkt im internationalen Handels- und Investitionsrecht liegt und der sich intensiv mit jener Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Investoren und Staaten (ISDS) beschäftigt, die im Zuge der Verhandlungen über das US-europäische Freihandelsabkommen TTIP so viel Aufmerksamkeit erhalten hat. „Wir haben am Juridicum den Luxus einer eigenen Völkerrechtsabteilung, in der das internationale Wirtschaftsrecht eine prominente Rolle spielt“, sagt Reinisch.
Europarecht rückt in den Mittelpunkt
Das gleiche gilt für das Europarecht, wo Thomas Jäger seit Anfang 2016 eine neue Professur innehat. Seine Schwerpunkte liegen beim Marktrecht, also der Frage, wie die verschiedenen europäischen und nationalen Regelungen zueinander passen müssen, damit der für die europäische Wirtschaft so wesentliche Binnenmarkt tatsächlich funktioniert. Da das Unionsrecht in viele andere Rechtsgebiete hineinspielt, war es lange Zeit am Juridicum aufgesplittert. „Einen Europarechtler braucht man, um eine Gesamtperspektive der Funktionsprinzipien zu entwickeln“, definiert Jäger seine Rolle. „Die Querbezüge zu anderen Materien stellen andere Juristen nicht her.“
Im Arbeits- und Sozialrecht wiederum gebe es in vielen anderen europäischen Staaten die Tendenz, diesen Bereich als Schutzrecht für Arbeitnehmer ohne Bezug zu wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu behandeln, sagt Robert Rebhahn, Professor für Arbeits- und Sozialrecht. „Dann ist jeder Schritt zu mehr Kündigungsschutz ein Fortschritt, jeder Abbau ein Schritt ins Mittelalter. Die Folgen davon konnte man in Griechenland beobachten“, sagt er. „Wir in Wien sehen Arbeitsrecht mehr als Teil des Wirtschaftsrechts. Da muss man sich auch überlegen, wie viel Kündigungsschutz aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist.“
„Vor lauter Holzmolekülen auch den Wald sehen“
Aber auch hier müsse es Ziel sein, den Studierenden Grundlagenwissen und konzeptionelles Denken beizubringen statt nur Paragrafen und Bestimmungen, ist Rebhahn überzeugt. „Die Studenten müssen lernen, dass sie vor lauter Holzmolekülen auch den Wald sehen. Im Arbeitsrecht geht es um die Struktur. Man braucht Orientierungswissen, denn nur mit Verfügungswissen kennt man sich gar nicht aus.“
Und im oft als besonders trocken eingestuften Verwaltungsrecht ist die Gewerbeordnung das wichtigste Thema für alle Studierenden. „Das ist das Grundgesetz des Wirtschaftsrechts“, sagt Verwaltungsrechtsprofessor Bernhard Raschauer. „Ich würde mir auch mehr Aufmerksamkeit für das Vergaberecht wünschen, das im Studium in seiner praktischen Bedeutung unterbelichtet wird.“ Entscheidend aber ist die Vermittlung der „klassischen Verwaltungsrechtsdogmatik“, die Absolventen es dann ermöglicht, in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und Aufsicht – sei es die Finanzmarktaufsicht oder die E-Control – zu arbeiten, betont Raschauer.
Forschungsfragen mit aktueller Brisanz
Neben der Lehre ist das Juridicum auch ein Zentrum der Rechtsforschung, das im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus viel Ansehen genießt. Auch hier ist das Wirtschaftsrecht in den vergangenen Jahren immer mehr in den Mittelpunkt gerückt. Die Fragen, mit denen sich die Fakultät in Aufsätzen, Kommentaren oder Gutachten beschäftigen, sind oft von höchster aktueller Brisanz.
So ist das Institut für Zivilrecht dank der Arbeit von Brigitta Zöchling-Jud und ihrer Kollegin Christiane Wendehorst zu eine, Vorreiter für das europäische Verbraucherrecht geworden, eines der heißesten Themen für alle Unternehmen, die in der EU grenzüberschreitend – und oft über das Internet – anbieten. Dazu trägt auch das am Juridicum angesiedelte European Law Institute (ELI) bei, in dem Wendehorst Vizepräsidentin ist, und das als Think Tank für aktuelle europarechtliche Entwicklungen dient.
Zöchling-Jud beschäftigt sich auch mit Schadenersatzrecht sowie Unternehmensnachfolge und Erbrecht. Die letzteren sind auch Kernthemen für Zivilrechtsprofessor Martin Schauer, den diese Arbeit wiederum in den komplizierten Bereich des Stiftungsrechts führt. Ein aktuelles Projekt für ihn ist die Ausarbeitung von Gestaltungsmöglichkeiten für die familiäre Vermögensplanung, die unzählige Unternehmerfamilien in Österreich berührt.
Von Zinsswaps zur Mindestsicherung
Sein Kollege Christian Rabl wiederum wendet das Zivilrecht im Bankwesen an, etwa bei der Frage von Anlegerschäden, die etwa bei den aktuellen Streitigkeiten zwischen Gemeinden und Banken als Folge fehlgeschlagener Zinsswaps oft Millionenhöhen erreichen. Hier bietet die etablierte Lehre oft wenig Anhaltspunkte, meint Rabl, denn: „Das Zivilrecht hinkt bei neuen Finanzprodukten immer hinterher.“ Ein Spezialthema für ihn ist die Restitution von während der NS-Zeit geraubten Kunstwerken, wie etwa der berühmte Fall der „Goldenen Adele“ von Gustav Klimt. „Diese Streitfälle lassen sich im Einzelfall oft nur über die Beantwortung klassischer zivilrechtlicher Vorfragen lösen, die oft auch mit Erbrecht zusammenhängen“, sagt Rabl.
Kirchmayr-Schliesselberger ist in allen aktuellen steuerrechtlichen Entwicklungen involviert, und Rebhahn beschäftigt sich mit der viel diskutierten Frage der Mindestsicherung. Das Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts, das als Folge der großen Wirtschaftsstrafprozesse in den vergangenen Jahren deutlich an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen hat, lehrt und forscht Strafrechtsprofessor Peter Lewisch, der diese Tätigkeit mit seiner Praxis als Wirtschaftsanwalt verbindet.
Ein zentraler Ort für wirtschaftsrechtliche Forschung ist das Institut für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht mit den Professoren Josef Aicher, Ulrich Torggler und Friedrich Rüffler, wo entscheidende Beiträge zu den Entwicklungen u.a. im Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht, Wertpapierrecht und im Kapitalmarktrecht geleistet werden. Diese sind eng mit der europäischen Gesetzgebung und Judikatur verknüpft und betreffen in vielen Fällen ganz konkrete Rechtsfragen, vor denen österreichische Unternehmen stehen. „Wir bereiten oft das vor, was der OGH noch nicht entschieden hat“, sagt Vizedekan Rüffler.
Den jüngsten Entwicklungen im Wirtschaftsrecht wird durch zwei neue Professuren Rechnung getragen – die eine für Technologie und Immaterialgüterrecht, die andere im internationalen Unternehmensrecht mit Schwerpunkten wie z.B. grenzüberschreitendes M&A. Es gibt kaum ein aktuelles wirtschaftspolitisches Thema, zu dem nicht eines der Institute am Juridicum wichtige Beiträge liefert.
Gesetzgeber hört manchmal hin
Aber fließt diese intellektuelle Arbeit auch in den Gesetzgebungsprozess und in die höchstgerichtlichen Entscheidungen ein? Professoren geben regelmäßig Anstöße für größere Rechtsreformen und sind oft auch über Fachenqueten und Arbeitsgruppen an der Ausarbeitung neuer Gesetze beteiligt, berichtet Dekan Oberhammer. Das sei etwa bei der Insolvenzrechtsreform 2010 oder bei der jüngsten Reform des Schiedsrechts gut gelungen. In anderen Fällen entscheidet die Politik allerdings gegen die Empfehlungen der Experten.
So hätten sich bei der 2015 in Kraft getretenen Erbrechtsreform einige Professoren, die seit Jahren darüber forschen, mehr Mitsprache gewünscht. „Da war ein starker politischer Druck vorhanden, das Gesetz rasch zu verabschieden“, sagt Zöchling-Jud. „Es war die größte Reform seit 200 Jahren mit 300 Paragrafen, und die Begutachtungsfrist war nur sechs Wochen. Da hätte man sich ruhig ein halbes Jahr Zeit lassen können.“
Höchstgerichte als Schiedsrichter für Qualität der Forschung
Mehr Gehör glaubt die Professorenschaft beim Höchstgericht zu erhalten; der Oberste Gerichtshof zitiert regelmäßig wissenschaftliche Aufsätze. „Der Dialog zwischen Fachliteratur und Rechtsprechung hat sich intensiviert, der war vor zehn oder 20 Jahren noch nicht so stark“, sagt Zivilrechtsprofessor Schauer. „Die Richter setzen sich mit der Literatur auseinander, was aber nicht heißt, dass sie es immer befolgen.“
Auch Zöchling-Jud sieht hier einen für die Fachwelt positiven Trend: „Änderungen der Rechtsprechung – und so viele gibt es nicht – werden oft durch wissenschaftliche Diskussionen am Juridicum ausgelöst.“ Und Rabl sieht die Entscheidungen des OGH sogar als Messlatte für die eigene Arbeit. „Schiedsrichter für Qualität ist einerseits die Resonanz in der Fachwelt und andererseits die Rechtsprechung. Man muss sich daran messen lassen, in wie weit das Höchstgericht die eigenen Vorschläge überzeugend findet.“
Grenzüberschreitungen in einem schwierigen Haus
Eine weitere Herausforderung für die Fakultät ist die Zusammenarbeit über Institutsgrenzen hinaus. Dem steht die Tradition starker und unabhängiger Institute sowie die Architektur des Hauptgebäudes des Juridicum entgegen. Errichtet in den 1970er-Jahren hat es mit seinen zwei getrennten Stiegen, die wiederum auf jedem Stock die beiden Flügel mit Büros voneinander trennen, einen sozialen und intellektuellen Silocharakter. Einige Bereiche wie Arbeit- und Sozialrecht sowie Finanzrecht sind überhaupt in einem Zweitgebäude hinter dem Burgtheater untergebracht. Zufällige Begegnungen sind hier genauso rar wie neutrale Besprechungsorte. „Wir sind immer noch zu versäult, der institutsübergreifende Dialog und die interdisziplinäre Behandlung realer Rechtsfälle kommen dadurch oft zu kurz“, merkt Raschauer an.
Aber auch dank eines Generationswechsels nimmt die Dialogbereitschaft zu, etwa zwischen Zivil- und Unternehmensrechtsexperten. In den Wahlfachkörben werden die Institutsgrenzen durch die Studierenden überschritten. Und Professoren aus verschiedenen Fachgebieten arbeiten bei der Konferenzen oder der Erstellung von Tagungsbänden zusammen oder finden andere Anlässe sich auszutauschen. „Die Vernetzung findet statt, aber sie ist informell“, sagt Vizedekan Rüffler. „Die Fakultät hat die Freiheit, das zu tun, was sie will.“
Autor: Eric Frey ist promovierter Politikwissenschafter und Chef vom Dienst der Tageszeitung „Der Standard“. Er betreut dort seit 1997 das Ressort Wirtschaft & Recht.